Freunde, ich bin völlig unverschuldet in einen echten Gewissenskonflikt geraten.
Ihr habt vielleicht gelesen, dass jemand beim Ausparken unser friedlich geparktes
Schokobömbchen touchiert und daraufhin freundlicherweise die Polizei gerufen hat. Ich habe dann zwei Tage lang dem zuständigen Beamten hinterher telefoniert, schließlich die Kontaktdaten des Verursachers erhalten und diesem weitere drei Tage hinterher telefoniert.
Gestern Abend habe ich ihn erreicht. Er entpuppte sich als ältere Dame, verwirrt, aufgeregt, völlig durch den Wind. Sie erzählte mir ungefragt und ausführlich von ihrem Mann, der in den letzten Monaten gleich mehrere Unfälle mit dem Familien-Daimler verursacht habe. Ein exorbitanter Anstieg der Versicherungsprämie sei die Folge gewesen.
Es habe sich daraufhin herausgestellt, dass ihr Mann an
Morbus Alzheimer erkrankt sei, und zwar an einer sehr schnell fortschreitenden Variante. Mittlerweile liege er in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses, wo er schlecht behandelt werde und sie nun versuche, ihn dort irgendwie wieder rauszuholen.
Und so weiter. Die ganze Geschichte war noch etwas länger, wobei die hektische Sprechweise meiner Gesprächspartnerin und ihr ständiger Wechsel zwischen verschiedenen Zeitebenen das ganze nicht einfacher gemacht haben. Dabei wollte ich doch eigentlich nur wissen, bei welcher Gesellschaft ihr Auto versichert ist und unter welcher Vertragsnummer. Beides weiß ich jetzt.
Zwischenzeitlich war ich bereits in der Vertragswerkstatt gewesen und habe den Schaden am
Schokobömbchen auf der Hebebühne untersuchen lassen. Es war schnell klar, dass nur eine leichte oberflächliche Beschädigung des Lacks erfolgt ist, und streng genommen nicht mal das: Es war der Abrieb des gegnerischen Fahrzeugs, der sich abgebildet hat. Der Werkstattmeister meinte dazu sinngemäß: Ist nix passiert, eine Reparatur bedeutet aber die Neulackierung des Stoßfängers. Dreischicht, Mica, Metallic - drei Tage Reparaturdauer, so ungefähr 1000, vielleicht 1500 Euro plus drei Tage Mietwagen. Aber
"bezahlt ja alles die Versicherung".
Und genau an dieser Stelle begann mein Gewissenskonflikt: Ja, ich bin nicht schuld. Ja, ich habe ein Anrecht auf die Neulackierung. Ja, ich habe ein Anrecht auf einen Mietwagen. Ja, es kann mir völlig gleichgültig sein, dass der ganze Spaß anderthalbtausend Euro kostet, ist ja nicht mein Problem. Genauso wenig wie das weitere Ansteigen der Versicherungsprämie der Verursacherin und deren aktueller Gemütszustand.
Wenn ich mir außerdem das gegnerische Auto so anschaue, dann erwischt es wohl nicht die Falsche: Der Daimler ist rundum vielfach verschrammt, damit hat man wohl schon öfter alles Mögliche beschädigt.
Nur: Es ist mir trotzdem nicht gleichgültig. Will ich wirklich, dass wegen so einer Lappalie vierstellige Kosten entstehen, die letztlich zum Ansteigen der Versicherungsprämien für alle führen? Soll ich wirklich zulassen, dass die Verursacherin, die wegen der Erkrankung ihres Mannes kurz vor dem Kollaps zu stehen scheint, von einer derartigen Petitesse zusätzlich gequält wird?
Nö. Will ich nicht. Beides nicht.
Ich habe das noch einmal überschlafen und heute Morgen die Entscheidung getroffen, die leichten Schrammen an meinem Auto versuchsweise von einem Fachbetrieb professionell auspolieren zu lassen. Mit gutem Ergebnis - man sieht absolut nichts.
Das hat mich 30 Euro gekostet, die zahle ich selbst und angesichts des guten Ergebnisses möchte ich es dabei belassen. Ich glaube, das ist die richtige Entscheidung.
Grüße, Egon