Am Montag bekam ich beim Händler (Besuch zum Radwechsel Winter -> Sommer;
die 15-Zoll-Felgen sehen gut aus!) eine Kopie eines äusserst lesenswerten
Artikels, den man sich so schon lange einmal in der Fachpresse gewünscht hat.
Es war das Editorial aus der in der Schweiz erscheinenden "
Automobil-Revue",
Ausgabe 25. März 2010.
Ich wollte Euch daran gerne teilhaben lassen und habe deshalb den Chefredakteur,
Herrn Pierre-André Schmitt, um die Genehmigung gebeten, diesen Artikel hier
einstellen zu dürfen.
Mit seiner ausdrücklichen Genehmigung – ein herzliches "Merci" dafür an Herrn
Schmitt! – hier nun also der Artikel:
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Editorial
Pierre-André Schmitt, Chefredaktor
Rauchende Bremsen
Liebe Leserin, lieber Leser,
Heute ist die Zeit wieder einmal reif für eine kleine Lektion in Sachen Mechanik
der Massenmedien.
Wir haben in der jüngsten Zeit einiges gelesen über Autos vom Toyota-Konzern,
die aus unerklärlichen Gründen plötzlich beschleunigen.
Wir haben zum Beispiel die Geschichte einer älteren Frau gelesen, die in eine
Hauswand fuhr, weil ihr Prius nicht mehr kontrollierbar war.
Wir haben die Geschichte des 61-jährigen James Sikes gelesen, der auf der Auto-
bahn verzweifelt den Polizei-Notruf wählte, weil das Gaspedal seines Autos
verklemmt sei und der Wagen immer schneller werde.
Und wir haben die Geschichte von Professor David W. Gilbert von der Southern
Illinois University gelesen, der mit einer ausgeklügelten Versuchsanordnung beim
TV-Sender ABC vor laufenden Kameras bewies, dass Toyotas plötzlich grundlos
auf Höchstdrehzahlen beschleunigen können, ohne dass Fehlermeldungen ausge-
geben oder gespeichert werden.
Vor allem haben wir immer wieder gelesen, dass Toyota ein Riesenqualitätsproblem
habe, weil die Firma viel zu schnell gewachsen sei.
Versuchung
Wir könnten angesichts der ständigen Wiederholung solcher Nachrichten in
Versuchung geraten, sie langsam zu glauben. Wir können uns aber stattdessen
auch gerne an die Fakten halten.
Und das sind die Fakten: Im ersten Fall zeigte der Speicher an, dass im Prius nicht
das Bremspedal durchgetreten worden war, sondern das Gaspedal. Das bringt
Autos normaler Bauart in der Regel tatsächlich zum Beschleunigen.
In zweiten Fall hat sich erwiesen, dass der Fahrer hunderte Male abwechslungs-
weise auf Gas- und Bremspedal trat. Das brachte die Bremsen zum Rauchen, was
indes nicht wirklich als völlig unerklärlich bezeichnet werden kann.
Die Versuche des Professors wiederum waren vom US-Fernsehsender ABC schlicht
gezinkt: Bilder vom voll ausschlagenden Drehzahlmesser waren auf dem Parkplatz
entstanden; man hatte einfach im Leerlauf Vollgas gegeben. Und die Elektronik
des Wagens war umgebaut, bei gleicher Versuchsanordnung tritt der kritisierte
Beschleunigungseffekt auch bei Autos anderer Marken auf. Schlimmer noch: Die
Sendung basierte auf der Auftragsarbeit eines Professors, der von Haftpflicht-
anwäten bezahlt worden war. Wie der "Tages-Anzeiger" berichtete, haben sie
Toyota mit Klagen über mehr als drei Milliarden Dollar eingedeckt – eine Milliarde
davon winke Ihnen als Honorar.
Wir möchten hier nicht falsch verstanden werden. Uns geht es nicht darum, irgend-
welche Probleme zu beschönigen, wenn sie wirklich da sind. Es geht uns aber um
intellektuelle Redlichkeit. Und um Verlässlichkeit.
Das müssten Leser von Journalisten eigentlich erwarten dürfen.
Copyright C 2010 Automobil-Revue, mit freundlicher Genehmigung hier wiedergegeben.
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Danke, Herr Schmitt!
Chris