happyyaris schrieb:
Wäre interessant, wenn sowohl Du als auch ich nachher zu Hause sowohl e-Up als auch Model Y stehen haben.
Ich will mich nicht so recht dazu überwinden, mangels Alternativen zu einem E-Auto in SUV-Form zu greifen. Ich habe mir noch nie den Farbgeschmack der Hersteller aufdrängen lassen (also Totensonntag-Metallic aufpreisfrei) und genauso geht es mir auch bei der Karosserieform: Ich will kein technisch absolut herausragendes Auto als SUV fahren müssen, weil es eben nur als SUV erhältlich ist - oder in diesem Fall auch als niedrige Limousine mit einem für unseren Bedarf leider untauglichen Laderaum-Zugang.
Gestern habe ich mit der mittlerweile vierten Model Y-Probefahrt erneut versucht, mich vom Gegenteil zu überzeugen. Nur eine kurze Runde, dieses Mal in einem nagelneuen "Performance" aus Grünheide/Brandenburg mit geschmeidigen 562 PS. Der rennt aus dem Stand in unter 4 Sekunden von Null auf 100 km/h, beim beherzten Tritt aufs Strompedal zieht es die Kopfhaut nach hinten.
Ein Wolf im Schafspelz, denn das Auto sieht eigentlich eher unauffällig aus. Klar, Insider erkennen einen Performance an seinen rot lackierten Bremssätteln und einer dezenten Linie unter der Heckaufschrift "Dual Motor". Für praktisch alle anderen Verkehrsteilnehmer ist er aber nur ein weiteres relativ gesichtsloses SUV, von denen es zahllose gibt. Also nichts für Leute der Zielgruppe "Klappenauspuff".
Technisch und hinsichtlich der Fahrleistungen ist der Wagen absolut überragend, um es in einem Wort zusammenzufassen. Einige Hundert PS weniger würden es auch tun, aber E-Auto-typisch ist die brachiale Leistung (per Menü reduzierbar) verbrauchtechnisch ein Genuss ohne Reue. Der elektronisch exzellent austarierte Allrad-Antrieb bringt sie jederzeit sicher auf die Straße. Die fast 2,1 Tonnen Leergewicht merkt man dem Auto nie an, es lässt sich fast schon spielerisch um die Kurven zirkeln und das relativ kleine dicke Lenkrad passt super. Die tolle Straßenlage des stolze 17 Zentimeter niedrigeren Model 3 wird freilich nicht ganz erreicht, die Physik ist dagegen.
Obwohl ich bei der kurzen Testrunde auf der A5 den imposanten Elektro-Bums zwei Mal ausprobiert und auch kurz die höheren Geschwindigkeitsregionen angetestet habe, standen zum Schluss nur 17 kWh/100 km auf dem Display. Vernünftig gefahren geht weniger; mit dem Nicht-Performance (der hat "nur" 441 PS) lag ich mühelos bei 15 kWh. Zur Erinnerung: Das entspricht dem Energiegehalt von anderthalb Litern Diesel.
Ich habe ja nun schon so einiges an E-Autos ausprobiert und lehne mich mal aus dem Fenster: Das Model Y braucht in der Praxis 10 bis 20 Prozent weniger Strom als die halbwegs vergleichbaren Produkte der Tesla-Mitbewerber. Der Abstand ist im Alltag wahrscheinlich noch größer. Alleine dieser Aspekt ist bereits überragend, von den sonstigen Fähigkeiten des Wagens ganz abgesehen.
Die Standard-Themen der Fachpresse und der Stammtische (Reichweite, Ladeleistung, Blah) sind nicht der Erwähnung wert. Die Akkukapazität ist mehr als ausreichend, der Bordlader dreiphasig, die DC-Ladeleistung an V3-Superchargern beträgt bis zu 250 kW. Das höchst ausgeklügelte Temperaturmanagement an Bord (Stichwort "Octovalve") umfasst alles, was zeitweise gekühlt oder beheizt werden soll.
Der für das GUI zuständige Prozessor der neueren Tesla-Modelle basiert auf dem AMD Ryzen Embedded V1807B, also vier Kerne, getaktet mit maximal 3,8 GHz. Der sorgt für eine äußerst flüssige Bedienung und Darstellung, auch beim Netflix- oder Youtube-Schauen in hoher Auflösung. Die Routenberechnung und alles andere sind damit nur noch eine Fingerübung und blitzschnell. Auch der Browser funktioniert brauchbar, selbst in Webseiten eingebettete Videos und etwas komplexere Javascript-Konstrukte werden meist sauber abgearbeitet.
Ansonsten ist noch zu erwähnen, dass die Raumnutzung SUV-untypisch ganz hervorragend ist. Bei vielen SUVs bin ich enttäuscht über das Raumangebot, weil die sehr hoch aufbauen und massive Radkästen den Innen- und Kofferraum einschränken. Der Model Y-Innenraum ist hingegen üppig und subjektiv deutlich größer als andere SUV vergleichbarer Größe (Länge 4,75 Meter, Radstand 2,89 Meter). Dazu tragen das riesige dunkel getönte durchgängige Glasdach und der fehlende Mitteltunnel maßgeblich bei. Der zweifach unterkellerte Kofferraum ist gigantisch, dito der Zugang dorthin durch die breite und hohe elektrische Heckklappe. Da geht der gut nutzbare Zusatzkofferraum vorne fast schon unter.
Gibt es überhaupt Kritikpunkte an diesem Über-Auto? Schwer, welche zu finden. Dass der Perfomance hinten auf 21 Zoll-Walzen im Format 275/35 steht (275!), muss nicht sein. Die 255er des normalen Modells (wahlweise in 19 oder 20 Zoll) sind schon mehr als genug Rad für dieses Auto. Der Wendekreis ist mit 12,1 Meter unangenehm groß. Die Sicht nach hinten ist miserabel, das reißen auch die drei jederzeit einblendbaren Kameraperspektiven nicht raus. Die Federung ist für meinen Geschmack zu hart, für die 562 PS aber wahrscheinlich nicht das schlechteste. Über 150 km/h lassen sich Windgeräusche nicht überhören; abgeregelt wird übrigens bei Tempo 250.
Für Insider: Die Pakete EAP (3.800 Euro) und FSD (3.700 Euro) kann man sich meiner Meinung nach beide getrost schenken. Abgesehen davon sind sie jederzeit nachkaufbar und werden dann einfach Remote freigeschaltet. Bei den in Europa üblichen gesetzlichen Einschränkungen wird FSD (Full Self Driving) noch lange ein Wunschtraum bleiben. Die EAP-Funktionen sind hingegen nett, aber im Alltag größtenteils verzichtbar.
Beispiel: Natürlich funktioniert Autopark, einigermaßen jedenfalls. Aber will ich wirklich, dass mein Auto während dieses Vorgangs teilweise im Stand (!) die überbreiten Reifen mehrere Lenkrad-Umdrehungen hin- und her dreht? Nö, danke. Das Herbeirufen ohne selbst am Steuer zu sitzen sowie das selbsttätige Herunterfahren von der Schnellstraße und komplette automatische Autobahnwechsel sind für Mitfahrer sicher beeindruckend, aber nüchtern betrachtet schneller und sicherer selbst erledigt.
Die Verarbeitung ist innen ziemlich perfekt, überhaupt kein Vergleich zu den älteren Teslas Made in USA. Die Spaltmaße außen und vor allem die Türen, die man teilweise mit Schmackes zuwerfen muss, sind aber doch mehr USA als China-Qualität. Da gibt es also noch einiges zu tun in Grünheide, wie es beim Produktionsanlauf eines neuen Fahrzeugwerks realistisch nicht anders zu erwarten ist.
Zur Lieferbarkeit und der Frage, wann welches Auto aus China und wann aus Grünheide kommt, gibt es widersprüchliche Aussagen und keineswegs gesicherte Erkenntnisse. Bislang kommen ausschließlich schwarze Perfomance-Modelle aus Grünheide, in Kürze sollen weiße P hinzukommen - und irgendwann auch die LR-Modelle sowie weitere Farben. Genaue Zeitpunkte sind aber unklar.
Wer jetzt bestellt, bekommt sein Auto voraussichtlich im dritten Quartal, offiziell sogar schon im Juli. Ob aber aus China oder aus Grünheide, ist derzeit noch von Farbe und Ausführung abhängig. Ich rechne damit, das mittelfristig alle Model Y für den europäischen Markt in Grünheide produziert werden, aber man weiß eben nicht ab wann genau.
Aussagen zu einer bevorstehenden Preiserhöhung sind widersprüchlich, je nachdem mit wem man spricht. Viele erwarten eine deutliche Erhöhung schon in den nächsten Tagen, andere verweisen auf die hohe Marge des Herstellers pro Fahrzeug und die Nicht-Notwendigkeit einer Erhöhung. Ich gehöre eher zu den Skeptikern, rechne also angesichts des Weltgeschehens, der allgemeinen Preisentwicklung, der hohen Inflationsrate im Euro-Raum und natürlich auch wegen der sehr hohen Nachfrage nach Tesla-Fahrzeugen mit einer baldigen Erhöhung.
Mit 250 Euro Einsatz kann man sich den aktuellen Preis sichern. Eine aktive Bestellung lässt sich bei drohender frühzeitiger Auslieferung um bis zu 2 Quartale nach hinten schieben, was im Vergleich zu den Mitbewerbern geradezu ein Luxusproblem darstellt.
Zusammenfassend muss ich zugeben, dass ich das Model Y äußerst überzeugend finde. Höchst bedauerlich, dass es ein SUV ist. In beispielsweise einer ID.3-Karosse wäre es ein No-Brainer.
Grüße, Egon